Im April wird wieder gelesen was das Zeug hält. Der Vorleseabend ist eine Institution an unserer Schule!
Die Stimmung, eine Mischung aus Vorfreude und Nervosität, ist höchst spannend. Die bunte Phantasie und die vielfältige Ausdrucksweise der Kinder ist jedes Jahr einmalig.
Wir haben uns mit Frau Tschanz, die den Anlass organisiert, und mit Viola Steiner, die 2004 als Primarschülerin in der ersten Klasse mitgemacht hat, unterhalten.
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Viola, Sie haben vor 12 Jahren als Erstklässlerin zum ersten Mal beim Vorleseabend mitgemacht. Heute studieren Sie Medizin. Wie würden Sie den Kindern der ersten und zweiten Klasse heute erklären, warum es lässig ist, am Vorleseabend mitzumachen.
Viola: Es ist sehr interessant, weil man von Jahr zu Jahr sieht, wie man besser wird. In der ersten Klasse merkt man das vielleicht noch nicht. Aber später, wenn man die Geschichten mal neben einander legt, und dann sieht, wie sie immer länger und besser werden – Ja, ich finde das super! Und ich finde es einfach eine lässige Veranstaltung.
Und das Drumherum war schön! Dass man länger aufbleiben und mit den anderen spielen durfte. Und man hat neue Schülerinnen und Schüler kennengelernt, die nicht bei einem in der Klasse, sondern schon ein bis zwei Jahre älter waren.
Frau Tschanz, wie lange gibt es den Vorleseabend an unserer Schule und was war die Idee dahinter?
Monica Tschanz: Der erste Vorleseabend fand vor 14 Jahren statt. Ich betreue den Anlass seit 2004. Von damals datiert auch das erste Exemplar des Büchleins, in dem alle Geschichten von einem Jahr abgedruckt sind. Seither sammle ich jedes Jahr die Geschichten, korrigiere sie und mache das Büchlein.
Die Idee hinter dem Vorleseabend war, den Kindern adressaten-bezogenes Schreiben zu ermöglichen. Das heisst, dass die Kinder nicht nur eine Geschichte für das Heft schreiben, sondern diese auch vortragen können. Der zweite Gedanke war, das gleiche Thema in verschiedenen Klassenstufen anzubieten, um zu sehen, was ein Erst-, Zweit- oder Drittklässler daraus macht. Und dann gibt es mit dem Vorleseabend auch einen Anlass, an dem die Eltern sehen und hören können, was ihre Kinder schreiben.
Das Büchlein, das es kurz nach dem Vorleseabend gibt, kann man dann für CHF 2.— kaufen. Von dem Geld werden die Auslagen bezahlt. Der Anlass ist selbsttragend.
Frau Tschanz, wie entsteht das Programm? Wer entscheidet, zu welchen Themen geschrieben wird.
Monica Tschanz: In den Anfängen haben wir, die Lehrpersonen in der Schulkonferenz, verschiedene Vorschläge gemacht und darüber abgestimmt. Später konnten dann die Schüler auf Klassenebene Vorschläge machen. Diese haben wir gesammelt, die besten wurden ausgesucht und der Schulleitung übergeben. Entschieden wurde und wird bis heute in der Schulkonferenz.
Wir haben gesehen, dass sich nicht jedes Thema gleichermassen für die Primar- und die Unterstufe eignet. Deshalb gibt es seit zwei Jahren jeweils ein Thema für die Primar- und eines für die Unterstufe. Aber die Kinder können das Thema auch wechseln, wenn sie wollen. Die Liste mit den Themenvorschlägen behalten wir und gleichen sie immer wieder ab, damit nicht jedes Jahr dasselbe Thema drankommt. Klar kann man nach 5-6 Jahren ein Thema wieder aufgreifen, das schon einmal dran war.
Viola, erinnern Sie sich an Ihren ersten Vorleseabend, bei dem Sie mitgemacht haben?
Viola: Ich war sehr nervös beim ersten Mal. Toll war, dass wir vorher und danach zusammen gespielt haben, dass wir länger da bleiben konnten und ein Schoggistängeli und einen Eistee bekamen. Bei der Idee zur Geschichte hat mir meine Mutter geholfen, aber geschrieben habe ich sie dann alleine.
Was mir auch in den Sinn kommt ist, ich habe jedes Jahr im Singsaal vorgelesen – das war quasi schon Tradition. Ich hatte das Gefühl, dass ich dort nervöser war als in einem normalen Klassenzimmer, weil man eben auf die Bühne gehen musste.
Meine kleinere Schwester hat übrigens auch oft am Vorleseabend mitgemacht.
Viola, wie oft haben Sie am Vorleseabend mitgemacht und haben Sie Ihre Geschichten noch?
Viola: Ich glaube, ich habe bis in die 6. Klasse mitgemacht. Nach der zweiten Sek bin ich dann ans Gymi. Und Ja, ich habe noch alle Geschichten! (lacht)
Frau Tschanz, wie reagieren die Kinder, wenn sie in der ersten Klasse zum ersten Mal vom Vorleseabend hören? Und wie begleiten Sie die Kinder bis zum grossen Tag, an dem sie zum ersten Mal die eigene Geschichte vor Publikum zum Besten geben?
Monica Tschanz: Die Reaktion der Kinder ist sehr unterschiedlich. Viele sagen begeistert: „Ja, das mache ich!“ Dann braucht es das Erinnern und Nachhaken. In unserem Klassenzimmer hängt auch ein Blatt, auf dem steht, bis wann die Geschichte fertig sein muss. Oder wenn jemand seine Geschichte abgibt, mache ich darauf aufmerksam. Das braucht es, auch für die Motivation. In der Mittelstufe wird die Geschichte als Klassenarbeit geschrieben.
In der ersten Klasse schaue ich, ob die Kinder Geschwister haben, die schon einmal mitgemacht haben. Wenn die kleineren Geschwister bei den grösseren schon mal zugeschaut haben, wissen die schon um was es geht und ich kann darauf hinweisen. Ansonsten zeige und erkläre ich anhand der früheren Büchlein, was aus ihren Geschichten entsteht. Manchmal suche ich auch eine Geschichte von früher raus und lese sie vor.
Die Vorbereitung in der Klasse sieht dann so aus, dass die Kinder die Geschichte zunächst mal schreiben. Ich korrigiere sie orthografisch und schreibe sie mit dem PC ab, wenn das notwendig ist. Dann können die Kinder das Lesen üben, z.B. in kleinen Gruppen in der Klasse, bis sie sich dann endgültig entscheiden, ob sie den Mut haben auch vor grösserem Publikum am Vorleseabend aufzutreten.
Frau Tschanz, was macht Ihnen besonders Freude oder Sorgen bei der Organisation?
Monica Tschanz: Sorgen mittlerweile höchstens die Anzahl der Kinder, weil bis zu 80 (!) Kinder vorlesen möchten, was ja sehr positiv ist. Wir haben festgestellt, dass es für die Kinder schwierig ist länger als eine Stunde im Vorleseraum zu sitzen, zuzuhören und die Aufregung, bis man selbst dran kommt, auszuhalten. Und dann müssen wir bei so vielen Kindern, die gerne vorlesen wollen, auch nach zusätzlichen Räumen suchen.
Das Gestalterische rund ums Büchlein mache ich sehr gerne. Das macht mir Spass. Ich bin wahrscheinlich die einzige Lehrperson, die alle Geschichten liest und kennt. Denn ich schaue wirklich jede Geschichte an und formatiere sie und ärgere mich dabei ab und zu (lacht), wenn ich sehe, wie viele Möglichkeiten es offensichtlich gibt einen Text zu formatieren. Also, da kenne ich inzwischen alles (lacht). Aber die Freude steht im Vordergrund. Und es ist ein schöner Augenblick, wenn die Kinder ungeduldig vor Freude schon am gleichen Abend nach dem Büchlein mit „ihrer“ Geschichte fragen, und wenn sie dann das gebundenen Exemplar in der Hand haben und stolz zu „ihrer“ Geschichte blättern.
Frau Tschanz, welchen Stellenwert hat Schreiben und Lesen heutzutage bei Kindern und Jugendlichen? Man hat den Eindruck, dass (manchmal auch bei Erwachsenen) hauptsächlich via SMS, WhatsApp, Posts, Bilder- /Filme kommuniziert wird. Emotionen werden per Smily ausgedrückt, eine Email mit Anrede und Schlussformel ist schon fast ausgestorben.
Monica Tschanz: Da spreche ich als Unterstufenlehrerin. Das ist ganz klar ein ganz wichtiger Punkt, um sich präzise ausdrücken, mitteilen und austauschen zu können. Wenn die Kinder lesen- und schreiben lernen, suche ich bereits jetzt in der ersten Klasse nach geeigneten Schreibanlässen. Das kann eine Bilderbeschreibung oder eine Bildergeschichte sein. Die Kinder können dann hier am Pult ihre Geschichte vorlesen und für die anderen ist das die Möglichkeit zu lernen, wie man positiv und unterstützend Feedback gibt.
Alle diese Geschichten sammle ich in einem Geschichtenheft. Daran haben die Kinder grosse Freude. Mit den Kindern aus meiner Klasse habe ich die Abmachung, dass wenn sie eine Geschichte schreiben, sie nicht jede selbst verbessern müssen, sondern dass auch ich mal die Texte abschreibe. Und dann kleben wir sie in ein spezielles Heft hinein.
Wir haben auch manchmal interne Projekte zum Lesen und Schreiben. Zum Beispiel schreiben die Drittklässler zum Thema Märchen ein eigenes Märchen und lesen das dann den Erstklässlern vor. Ja, das Lesen und Schreiben ist ein wichtiges Thema.
Viola: Das Lesen ist auf jeden Fall sehr wichtig. Ich studiere jetzt, und da muss ich viele Bücher lesen. Lesen ist zentral.
Frau Tschanz, gab es zu Ihrer Schulzeit etwas Vergleichbares wie den Vorleseabend am Waidhalde?
Monica Tschanz: Nein, einen Leseabend gab es nicht.
Zu unserer Zeit war es eine gewisse Zeit lang trendy Tagebuch zu schreiben. Oder man hat ein Fan-Album gestaltet, in dem man Bilder, Texte usw. zu Sportlern oder Schauspielern zusammengetragen hat. Und ich erinnere mich an die
Clubzeitung beim Sport, für die man manchmal einen lustigen Artikel schreiben musste. Während der Gymi-Zeit habe ich lustige Ereignisse oder Sprüche von Lehrpersonen und Schülern aufgeschrieben und die dann in einem Heft gesammelt und herausgegeben.
Frau Tschanz, Viola, gibt es eine Anekdote oder Begebenheit vom Vorleseabend, die Ihnen bis heute in Erinnerung ist?
Monica Tschanz: Nicht speziell. Für mich zählt der Anlass als Ganzes, etwas, das mit wenig Aufwand und wenig Organisation wirklich super läuft! Das positive Feedback der Eltern und Kinder, die Freude und der Stolz der Kinder, die während der gesamten Schulzeit mitgemacht haben – das sind die wichtigen Dinge für mich.
Doch, eine Geschichte fällt mir noch ein. Es gab mal einen Schüler, der in seiner Geschichte einzelne Worte rückwärts geschrieben hatte. Das war wirklich ein Knaller, als wir das zum ersten Mal gehört haben. Lustigerweise kam die Idee dann immer wieder mal auf.
Viola: Was mir noch in Erinnerung geblieben ist, dass es einen Schüler gab, der ein paar Jahre älter war als ich und der wirklich jedes Jahr mitgemacht hat, bis zu seinem Abschluss am Waidhalde, also bis in die dritte Sek. Das war megaspeziell, weil er doch ein ganzes Stück älter war als alle anderen Schülerinnen und Schüler und seine Geschichten viel besser waren. Am Schluss war es schon Tradition, dass er dabei war, obwohl er schon soviel älter war.
Frau Tschanz, Viola, was lesen Sie privat am liebsten?
Monica Tschanz: Ich lese privat ganz viel und querbeet.
Meine Wohnung platzt eigentlich aus allen Nähten, weil ich keine Bücher wegwerfen kann. Inzwischen habe ich mich zum Glück an den E-Reader gewöhnt. Ich lese gerne Thriller, sei es Stieg Larsson, oder die Jack Reacher Stories und nordische Krimis. Dann mag ich historische Romane, im Moment die Outlander von Diana Gabaldon, zusammen mit der Verfilmung. Die Games of Thrones, die Tolkin Bücher, aber auch die Jugendserien, wie Harry Potter oder die Bestimmung von Veronica Roth fand ich gut. Ich lese viel und gerne!
Viola: Ich habe sehr gerne Fantasiebücher, Science Fiction oder Liebesromane.
Frau Tschanz, Viola, vielen Dank für das Gespräch!
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Und wie liest sich eine Geschichte vom Vorleseabend aus dem Jahre 2004?
Hierzu die Geschichten von Viola Steiner, und Hanna Lazaro, damals 1. Klasse. Thema 2004: Die Suche nach dem verlorenen Schatz.
Hannah Lazaro
Eines Tages fragt ein Känguru. Wo habe ich meinen goldenen Schatz versteckt, ich finde ihn nicht mehr. Das arme Känguru sucht und ist bald müde. Es schläft jetzt, weil es immer den goldenen Schatz gesucht hat. Als es plötzlich erwacht, hat es geträumt, dass der Schatz in seinem Bauch ist. Es hat nachgeschaut und gesehen, dass er echt dort ist. Das Känguru hat viel Freude.
Viola Steiner
Marie ist ein kleines Mädchen. Sie hat ein grosses Zimmer. Sie hat eine grosse Lumpenordnung. Sie hat einen Schatz. Leider findet Marie den silbrigen Glitzerschatz nicht mehr. Marie ist ins Zimmer gerannt und über die Schmuckschatulle gestolpert und auf dem Bauch gelandet. Sie ist wütend und fragt, wo ist der Schatz? Sie fängt an mit Aufräumen. Die Socken in den Kleiderschrank und die Hose in den Kasten. Die Aufgaben in den Thek. Erst jetzt merkt Marie, dass die Medaillen in der Schmuckschatulle sind.