Mit Interesse haben wir den Input vom Elternrat zur MINT Studie der ETH aufgenommen. Schon kurz darauf konnte Herr Schumacher an unserer Schulkonferenz über das Projekt berichten. Seine Ausführungen sind auch bei der Lehrerschaft auf reges Interesse gestossen. Wir werden das Thema weiter verfolgen und darüber diskutieren, ob wir uns schon bald zu einer „MINT – Schule“ zählen dürfen.
Von Rahel Häsler, Schulleiterin Waidhalde
Können Primarschulkinder physikalische Konzepte von Schwimmen und Sinken verstehen? Mit dem richtigen Unterricht durchaus, wie eine Studie des Lernzentrums an der ETH zeigt.
Rasch und mit einem Plopp sinkt der kleine Eisenwürfel ins Wasserbecken, während der Holzwürfel schwimmt.
„Das liegt daran, dass der Eisenwürfel schwerer ist als der Holzwürfel, obwohl sie beide gleich gross sind“, erklärt Nina Morf ihren fiktiven jungen Zuhörern. „Sehr gut, wie Sie „Schwimmen und Sinken“ im Experiment zeigen und den Begriff der Dichte altersgerecht umschreiben um das Phänomen zu erklären“, erläutert Ralph Schumacher, Lernforscher an der ETH Zürich. Nina Morf ist eine von 350 Lehrpersonen in der Deutschschweiz, die mit ihren Schülerinnen und Schülern an der MINT-Studie des Lernzentrums an der ETH Zürich (EducETH) teilnimmt.
MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Wie und wann MINT-Themen in der Schule unterrichtet werden, ist bei Lehrern, Eltern und Bildungsexperten immer wieder ein Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Der MINT-Sektor betrifft aber nicht nur den naturwissenschaftlichen Unterricht in der Schule. Vertreter der wirtschaftlichen Innovationssektoren beklagen immer wieder den Fachkräftemangel. Damit sind nicht nur die Absolventen einer Universität gemeint, sondern auch Mechatroniker, Logistiker, Polymechaniker – sprich die Abgänger einer dualen Berufsausbildung.
In der anhaltenden pädagogischen Diskussion verfolgt die MINT-Studie des EducETH einen pragmatischen und eleganten Ansatz. „Auf den Punkt gebracht untersuchen wir, ob derjenige der früh anfängt, auch wirklich weiter kommt“, so Ralph Schumacher, Leiter der MINT-Studie. „Unsere Fragestellung ist, was bleibt bei Schülern, die auf den unteren Klassenstufen (Primarstufe Klasse 1-6) in den naturwissenschaftlichen Fächern mit optimalen Lernmaterialien versorgt werden, -salopp gesagt- hängen. Und zweitens interessiert uns, wie die Schüler in höheren Klassenstufen auf dieses Wissen zurückgreifen, aufbauen und gegebenenfalls auch in anderen Fächern davon profitieren können“.
Was in der Schule „hängen“ bleibt – Transfereffekte
Das, was in der Schule hängen bleibt, sind für Lernforscher die sogenannten Transfereffekte. Diese will das Team um Ralph Schumacher über einen Zeitraum von 15 – 20 Jahren beobachten. Ca. 6000 Schüler in der Deutschschweiz haben seit 2011 bei der Langzeitstudie, die es in dieser Art noch nicht gab, mitgemacht.
Entschliesst sich eine Schule an der MINT-Studie teilzunehmen, erhält die Lehrperson zunächst ansprechend gestaltetes Lehr- und Experimentiermaterial und eine Fortbildung, wie sie das Material effektiv einsetzten kann. Bisher werden sechs Unterrichtsthemen – Luft-und Luftdruck, Schall, Schwimmen und Sinken sowie Brücken und was sie stabil macht – als sogenannte KiNT-Kisten angeboten – Lehrmaterial, das von der Universität Münster entwickelt und vielfacht erprobt wurde.
Der Lernfortschritt wird per Fragebogen, vor und nachdem ein Thema unterrichtet wurde, ermittelt. Die Ergebnisse werden dann mit dem Lernstand gleichaltriger oder auch älterer Schüler verglichen, die keinen MINT-Unterricht erhalten haben. Zudem bekommen die Lehrpersonen ein detailliertes Feedback, wo ihre Schüler und Schülerinnen inhaltlich stehen, ob gegebenenfalls eine Wiederholung nötig ist, und welche Form der Erklärung gut verstanden wurde.
„Die Rückkopplung mit der ETH ist äusserst wertvoll“, berichtet Stephan Ulrich, Schulleiter der Primarschule Pünt. MINT-Unterricht ist in der Schuleinheit Pünt von der 2.-5. Klasse heute obligatorisch, und das MINT-Profil ein Leistungsausweis für die Schule. „Unsere Lehrpersonen bekommen von der ETH kontinuierlich ein klares Feedback, wie und wo der Unterricht gewirkt hat. Das hat den Vorteil, dass eine Lehrperson bei der Leistungseinschätzung der Schüler, die sie in der Regel ja alleine machen muss, einen zweiten Referenzpunkt hat. Zudem wird den Lehrpersonen aufgezeigt, wie sie den eigenen Lehrstil anpassen können, damit die Schüler ein Thema besser verstehen.“
Und die MINT-Module sind so perfekt aufgebaut, dass sich die Lehrperson auch auf andere Dinge, wie zum Beispiel soziale Settings konzentrieren kann, denn ein Unterricht ist so komplex, dass man gar nicht alles steuern kann.
Jeder Fehler ein Schritt näher zum Verständnis
Zu wissen, warum der kleine Eisenwürfel bei Nina Morf im Experiment sinkt, der Holzwürfel aber nicht, gehört in die Welt des deklarativen Lernens. Hier geht es darum etwas verstanden zu haben, dies begründen zu können, zu argumentieren und in Frage zu stellen. „Dabei ist es für den Lernprozess wichtig, Fehler zu besprechen und zu erklären, denn jeder Fehler ist ein Schritt näher zur Erkenntnis“, erklärt Ralph Schumacher. „So macht es Sinn bei einer Rechenaufgabe, die ein Kind zum Beispiel nicht versteht, den Rechenweg zu erklären, Rückfragen zu stellen und sobald das Verständnis da ist, dem Kind ein paar Aufgaben zur Vertiefung zu geben. Das Credo von früher „Jetzt übst Du so lange, bis Du es kannst!“ hilft da nur wenig weiter.“
Reines Üben, bis man etwas kann, gehört zum prozeduralen Lernen. Der hunderttausendste Aufschlag von Roger Federer im Training fällt da genauso darunter, wie das Erlernen des Zähneputzens bei Kleinkindern, oder später das Üben eines Musikinstrumentes und das Training beim Fussballspielen. Im Focus steht ein Bewegungsablauf, der so lange wiederholt wird, bis er automatisiert ist und unbewusst abläuft.
Spass an der Sache und Ordnung im Kopf
Dass Kinder im Primarschulalter in der Lage sind Konzepte von Sinken und Schwimmen zu verstehen, ja sie verstehen zu wollen, wird schnell klar, wenn man zusieht, wie sie sich mit der Experimentiervorrichtung beschäftigen. Da wird mit ungebremster Neugier gespielt, angefasst, probiert und untereinander diskutiert, um das Phänomen buchstäblich zu begreifen. Die Aufgabe der Lehrperson ist es, den Forschungsdrang in sanft geordnete Bahnen zu lenken. So erinnert Sandra Zigerli an der Schule Triemli ihre Schülerinnen und Schüler immer wieder daran, erst auszuprobieren, dann zu beobachten und zu analysieren und schliesslich, die Beobachtung schriftlich festzuhalten, – denn, Ordnung im Ablauf bringt Ordnung im Kopf und einen Schritt weiter zum Verstehen.
Weiterer Schlüsselpunkt ist die richtige Sprache. Sie sollte der Sprachwelt der Kinder entsprechen. Abstrakte Begriffe wie Dichte und spezifisches Gewicht, in einer Physikvorlesung gang und gäbe, sind fehl am Platz. Kinder im Primarschulalter verstehen sie noch nicht. Sie verwirren und führen später in den höheren Klassenstufen, wenn die Lernthemen wieder aufgegriffen werden, manchmal zu Missverständnissen, so dass der Wissenstransfer ausbleibt, sprich vom Unterricht nichts hängen bleibt.
Das Geheimnis der richtigen Sprache
Ralph Schumacher legt bei der Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen besonderen Wert darauf die altersadäquate Unterrichtssprache zu vermitteln. Das wird von diesen sehr positiv wahrgenommen. Einige sind begeistert, wie einfach und einleuchtend ein Thema unterrichtet werden kann. Idil Calis, die Schulleiterin von der Schule Triemli, die im September den MINT-Preis der ETH für die ausgezeichneten Lernresultate entgegen genommen hat, weiss das aus eigener Unterrichtserfahrung. „Es braucht Geduld und auf die richtige Sprache kommt es an. Die Sprache der Professoren ist nicht immer die, die im Klassenzimmer zum Erfolg führt.“
Der Klick im Kopf, wenn man als Kind oder auch Erwachsener verstanden hat, warum der Eisenwürfel sinkt, kann ebensolche Begeisterung auslösen wie ein super Schuss im Fussballtraining.
Dass diese Art des Unterrichts motiviert und Spass macht, erfährt Stephan Ulrich an seiner Schule immer wieder. „Bei den Schülern kommen die MINT-Einheit im grossen und ganzen super an. Die Spitzenschüler, können gar nicht mehr genug davon bekommen. Die anderen brauchen etwas mehr Anleitung, aber auch da springt der Funke über. Auch das Feedback der Eltern ist positiv; aber es hängt natürlich davon ab, wie man die Eltern, die der Teilnahme ihrer Kinder an der Studie ja zustimmen müssen, einbindet.“
An der Primarschule Pünt hat man von Anfang an ganz offen kommuniziert. Bedenken, dass der Unterricht in Sprache dabei zu kurz kommt, konnten aus dem Weg geräumt werden, weil weitere Studienergebnisse zeigen, dass sich der Unterricht in den MINT-Modulen positiv auf die Sprachentwicklung auswirkt. „Die Texte der Schüler werden dichter und genauer, gerade weil die Schüler angehalten sind, sich über das auszudrücken, was sie erfahren und gelernt haben“, so der Schulleiter.
Bei soviel Begeisterung und positivem Feedback zur MINT-Studie drängt sich unweigerlich die Frage nach dem Knackpunkt auf. Stephan Ulrich glaubt, dass viele Lehrpersonen dem Vorhaben anfangs skeptisch gegenüberstehen, weil es aus ihrer Sicht Mehraufwand bedeuten kann und zunächst unklar ist, ob es das Unterrichten erleichtert. Auch haben viele Lehrpersonen Angst, Themen, bei denen Sie in der eigenen Schulzeit vielleicht selbst Schwierigkeiten hatten, aufzugreifen. „Hier geht es darum den emotionalen Boden zu schaffen und die Ängste zu nehmen und das gewährleistet die Betreuung vom Lernzentrum der ETH. Sobald die Lehrperson später sieht, dass sie weniger Aufwand hat, der Unterricht Spass macht und bei den Schülern mehr hängen bleibt, arbeiten sie überzeugt mit dem MINT-Programm der ETH und entwickeln manchmal sogar eigene Ideen für das forschende Lernen in MINT“.
von Dorothee Neururer