Gedanken einer Fachlehrperson
Jede Medaille hat zwei Seiten. Auch die Corona-Münze. Ich habe sie als Fachlehrer der Oberstufe erlebt. Plötzlich waren die Kinder weg. Ruhe und Stress entstanden gleichzeitig.
Ruhe: Aufträge durchdenken, klar formulieren, hochladen, verfolgen, ob sie gemacht werden, grüne Häkchen für erledigte und rote Kreuze für unerledigte Aufgaben setzen. Mit einzelnen Schülern und Schülerinnen hin und wieder chatten, zoomen, telefonieren. Der tägliche Kampf um die Schüleraufmerksamkeit im Klassenzimmer ist weggefallen.
Stress. Ist alles hochgeladen? Sieht jeder alles? Wie funktioniert Schabi? Wie funktioniert Zoom? Wieso antworten mir die Schüler nicht? Weshalb kann ich die hochgeladenen Files nicht öffnen? Warum steht das Bild auf dem Kopf? Habe ich alles im Griff?
Ruhe und Stress auch für alle andern: Für die Schülerinnen und Schüler, für die Eltern, für die Klassenlehrpersonen, die Schulleitung, das Volksschulamt, die Bildungsdirektion. Ich bin beispielsweise heilfroh, sind unsere Kinder dem Sekundaralter schon entwachsen und brauchen keine elterlichen Anspornungs- und Unterhaltungsprogramme mehr. Ich bin auch froh, nicht Behördenmitglied zu sein und komplizierte folgenschwere Entscheidungen treffen zu müssen. Und froh bin ich um kreative Kolleginnen im Lehrkörper, die mithelfen, den Alltag unserer Jugendlichen zu strukturieren.
Alle haben ihre persönliche Corona-Münze gefasst. Für die einen war es eher eine lockere entschleunigte Zeit, für die andern der pure Stress. Für viele waren beide Elemente drin. Für mich auch.
Ändert sich etwas danach? Vermutlich das eine oder andere. In den Schulen könnte ein Digitalisierungsschub einsetzen. Das kann man gelten lassen, wenn das andere nicht wegfällt, die Begegnung miteinander ohne trennenden Bildschirm dazwischen.
von R. Helmy, Fachlehrperson